Brenn­wei­te!

Im Palais de Beaux Arts (BOZAR) Brüs­sel trafen sich im Herbst 2018 zur Eröff­nung des Ars Musica Fes­ti­val for con­tem­pora­ry music zum ersten Mal Ver­tre­ter von 12 euro­päi­schen Fes­ti­vals für Neue Musik. Dieses Tref­fen war seit 2016 von IMPULS (Sach­sen-Anhalt) und Ars Musica (Brüs­sel) vor­be­rei­tet worden. Beim Tref­fen im Herbst 2018 wurde ver­ein­bart, über zwei Jahre Kon­fe­ren­zen zur Grün­dung einer ersten Föde­ra­ti­on für Euro­päi­sche Fes­ti­vals für Neue Musik abzu­hal­ten, die jeweils wäh­rend der Eröff­nung eines der betei­lig­ten Musik­fes­te statt­fin­den sollen. Diese Kon­fe­ren­zen ermög­li­chen den Fes­ti­val­lei­tern, ein­an­der und ihre sehr unter­schied­li­chen Fes­ti­vals besser kennen zu lernen und unter dem Motto „Aus­tausch statt Kon­kur­renz“ ein gemein­sa­mes Agie­ren als „Work in Pro­gress“ zu ent­wi­ckeln.

Ein großes Thema war der Wunsch einer geziel­ten, fes­ti­val­über­grei­fen­den För­de­rung junger Kom­po­nis­tin­nen und Kom­po­nis­ten durch beson­de­re Kon­zert­for­ma­te, die auf meh­re­ren Fes­ti­vals ange­bo­ten werden können.

Das am Bau­haus Dessau ansäs­si­ge Netz­werk IMPULS bringt unter dem Titel „Brenn­Wei­te“ junge Kom­po­nis­tin­nen und Kom­po­nis­ten aus 5 Län­dern zusam­men. Im Bau­haus-Jubi­lä­ums­jahr 2019 wird damit ein wenig bis­lang bekann­ter Aspekt der dama­li­gen Bau­haus-Meis­ter und ‑Lehr­lin­ge von den heu­ti­gen jungen Meis­tern ins Licht gerückt: der Film am Bau­haus.

Im Mit­tel­punkt des Kon­zert­pro­jek­tes stehen fünf Filme von Werner Graeff, Viking Egge­ling und Kurt Kranz, die von zeit­ge­nös­si­scher Musik neu inter­pre­tiert werden. Mit­ten­drin ein Film­frag­ment von Ella Berg­mann-Michel („Wahl­kampf 1932“). Dies ermög­licht nicht nur, den letz­ten Film (ein alles ver­drän­gen­der Pfeil) in einem ande­ren Licht zu sehen, son­dern auch ein­dring­li­che Par­al­le­len zu aktu­el­len poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen in Sach­sen-Anhalt und Europa auf­zu­zei­gen.

Die Idee der Koope­ra­ti­on spie­gelt sich auch in der Zusam­men­set­zung des inter­na­tio­na­len Instru­men­tal-Ensem­bles wider, das aus Musi­ke­rin­nen und Musi­kern von „Tempus Konnex“ aus Leip­zig und „Linea“ aus Straß­burg besteht. Als Hom­mage an das Bau­haus-Leit­bild „Zusam­men­füh­rung von Kunst und Hand­werk“ wird die Per­cus­sion durch das von Bob Rutman ent­wi­ckel­te Stahl­cel­lo ergänzt. Vio­li­ne, Viola, Cello und Kla­vier stehen drei Bläser gegen­über – Alt-und Baß­f­lö­te, Kla­ri­net­te und F‑Horn – sowie zwei Tas­ten­in­stru­men­te: Kla­vier und Akkor­de­on.

Gelei­tet wird das Pro­jekt, das im Rahmen der IMPULS-Mas­ter­class für junge Kom­po­nis­ten erar­bei­tet wird, von dem renom­mier­ten Diri­gen­ten Jean-Phil­ip­pe Wurtz und der in Dessau gebo­re­nen Kom­po­nis­tin Annet­te Schlünz.

Die Rei­hen­fol­ge der fünf Filme konnte anhand einer über­ge­ord­ne­ten Dra­ma­tur­gie (mit Dank an dem Ham­bur­ger Autor und Kura­tor Thomas Tode) fest­ge­legt werden.

Jede Par­ti­tur soll eine Länge von ca. 9 Minu­ten haben. Wobei die Musik den Film nicht unter­malt, son­dern inter­pre­tiert. Des­halb ist die Musik manch­mal länger als das Film­frag­ment selbst. Die 5 Par­ti­tu­ren und ihre Film­frag­men­te – inter­pre­tiert von dem Instru­men­tal­ensem­ble – werden durch eine elek­tro­ni­sche Kom­po­si­ti­on mit­ein­an­der ver­bun­den. Der abs­trak­ten Film­kunst wird so eine abs­trak­te Ent­r’ac­te-Musik ent­ge­gen­ge­setzt, die in Gemein­schafts­ar­beit der 5 Kom­po­nis­tin­nen und Kom­po­nis­ten ent­steht.

 

Die Filme

Zur Eröff­nung vom Bau­haus Dessau wurden 1926 auch Filme gezeigt.

Fil­mi­sche Praxis war für Bau­haus­leh­rer und Bau­haus­schü­ler ein wich­ti­ges Ele­ment des von Walter Gro­pi­us beton­ten Lehr­kon­zep­tes, am Bau­haus eine „Wis­sen­schaft des Sehens« zu ver­mit­teln. Kunst und Tech­nik soll­ten eine neue Ein­heit bilden; dabei durfte der Film, das tech­ni­sche Medium par excel­lence, nicht fehlen.

László Moholy-Nagy hatte ver­geb­lich ver­sucht, am Bau­haus eine „Ver­suchs­stel­le für Film­kunst“ ein­zu­rich­ten, den­noch ent­stand eine durch­aus ansehn­li­che Film­p­ra­xis von Leh­ren­den und Schü­lern des Bau­hau­ses.

Die fil­mi­schen Arbei­ten des Bau­hau­ses grup­pie­ren sich um drei Schwer­punk­te: doku­men­ta­ri­sche Archi­tek­tur­fil­me, sozi­al­kri­ti­sche Repor­ta­gen und abs­trak­te Medi­en­kunst. Dar­un­ter sind Filme der Bau­haus-Schü­ler Werner Graeff, Kurt Schwer­dt­fe­ger und Kurt Kranz sowie der dem Bau­haus nahe­ste­hen­den Film­künst­ler Hans Rich­ter und Viking Egge­ling.

Wie bei seinen Indus­trie­mö­beln streb­te das Bau­haus die Über­win­dung des künst­le­ri­schen Elfen­bein­turms an, wollte mit Kunst prak­ti­sche, zu gebrau­chen­de Pro­duk­te her­stel­len. Doch auch für den Bereich Film kann man dies dif­fe­ren­zie­ren. Die Archi­tek­tur­fil­me aus dem Umfeld des Bau­hau­ses woll­ten vor allem für das moder­ne, ratio­nel­le Bauen werben, für die moder­nen Bau­ma­te­ria­li­en Stahl, Beton und Glas und für die neuen Mon­ta­ge­wei­sen Prä­fa­bri­ka­ti­on und Plat­ten­bau. Sie nutz­ten das Medium Film vor allem, um die Massen zu errei­chen oder zumin­dest grö­ße­re Zuschau­er­zah­len.

Auch die sozi­al­kri­ti­schen Repor­ta­gen von Ella Berg­mann-Michel und Moholy-Nagy waren expli­zit für einen Ein­satz vor Massen gedacht und soll­ten in eine Mas­sen­kul­tur ein­grei­fen.

 

Ella Berg­mann-Michel:

„Der letzte Film blieb ein Frag­ment. Es waren Auf­nah­men von Wahl­pla­ka­ten, von leb­haf­ten Stra­ßen-Dis­kus­sio­nen, von typi­schen, den jewei­li­gen Par­tei­en zuge­hö­ri­gen Anhän­gern. (und von Auf­mär­schen junger Natio­nal­so­zia­lis­ten) Dann musste ich die Auf­nah­men aus poli­ti­schen Grün­den abbre­chen. Es war Januar 1933.“

Bei der Arbeit zu diesem Film über die Wahl­pro­pa­gan­da der Natio­nal­so­zia­lis­ten wurde Berg­mann-Michel kurz­zei­tig ver­haf­tet.

 

Für das Pro­jekt „Brenn­Wei­te“ wurden diese Filme aus­ge­wählt:

1: Viking Egge­ling (1921 – 24/25): Sym­pho­nie Dia­go­na­le

2: Kurt Schwerdtfeger/Rudolf Jüdes (1922/67): Reflek­to­ri­sche Farb­licht­spie­le 1 – 3 (1922/67)

3: Kurt Schwerdtfeger/Rudolf Jüdes (1922/67): Reflek­to­ri­sche Farb­licht­spie­le 4 ‑5

4: Ella Berg­mann-Michel: Wahl­kampf 1932 (Letzte Wahl),

5: Kurt Kranz (1930/72): Der heroi­sche Pfeil

 

Mit dem Pro­jekt „Brenn­Wei­te“ am Bau­haus möchte IMPULS im Bau­haus-Jubi­lä­ums­jahr der aktu­el­len schwie­ri­gen poli­ti­schen Lage vor Ort neue und posi­ti­ve Signa­le einer jün­ge­ren inter­na­tio­na­len Genera­ti­on an Künst­le­rin­nen und Künst­ler gegen­über­stel­len. „Brenn­Wei­te“ trägt dazu bei, das Wirken am Bau­haus jung zu halten und von dort aus weiter zu tragen.

 

Die Kom­po­nis­ten

Tamara Miller (Chile)

Meiyan Chen (China)

Mioko Yokoya­ma (Japan)

Miche­le Foresi (Ita­li­en)

Fer­di­nand Heu­ber­ger (Deutsch­land)

 

Diri­gent: Jean-Phil­ip­pe Wurtz (Straß­burg)

Fil­mi­sche Assis­tenz: Sascha Kummer (Leip­zig)

Dra­ma­tur­gi­sche Bera­tung: Thomas Tode (Ham­burg)

 

Mit dem Pro­jekt „Brenn­Wei­te“ ver­bun­den ist ein päd­ago­gi­sches Pro­jekt in Zusam­men­ar­beit mit der Musik­päd­ago­gin Eva Mor­lang, der Uni­ver­si­tät Leip­zig sowie Schu­len in Dessau.

„Brenn­Wei­te“ erklingt beim Eröff­nungs­kon­zert des IMPULS-Fes­ti­vals im Stein­tor Halle (16.10.), in Schul­kon­zer­ten in Mag­de­burg (15.10.), im Grassi-Museum in Leip­zig (18.10.) sowie im Kon­zert in Straß­burg (20.10.).

 

Unter­stüt­zung von:

Forum Zeit­ge­nös­si­scher Musik Leip­zig [FZML]